Ein Frühzeit-Goggo, zugelassen und gefahren in der DDR,entkommt in letzter Minute einem Feuchtbiotop
Etwa fünf Jahre mag es her sein, dass Uwe Gusen mich anrief und meinte, er hätte von einer sehr alten Limousine in Berlin Kenntnis erhalten. Diese solle ich mal anschauen und einen Bericht für die Clubzeitung machen. Der Besitzer hätte ein altes Handbuch von ihm gekauft, wohne im Norden der Stadt und würde mir den Wagen gern zeigen.
Der Schreck im nassen Schuppen
Ich vereinbarte einen Termin und lernte den netten Eigner des Goggos kennen, der seine Fahrzeugsammlung mit dem Kleinwagen wohl nach unten hin abrunden wollte: Seine übrigen Fahrzeuge waren eher am anderen Ende der Autoskala angesiedelt, handelte es sich doch um mehr oder weniger alte Exemplare der Marke Porsche.
Als er das knarrende Tor eines halb verfallenen Holzschuppens geöffnet hatte, schlug meine hoffnungsvolle Erwartung allerdings in Enttäuschung um: Es regnete durch das Dach auf ein von Gerümpel umgebenes Häufchen Elend, das man in der Dunkelheit nur schwer als Goggomobil erkennen konnte. Für eine nähere Inaugenscheinnahme war es weder hell noch zugänglich genug, und meine Frage, ob das Wrack eventuell zu verkaufen sei, verneinte der Mann. So zog ich unverrichteter Dinge wieder ab. Für einen Bericht in den GCN reichte das, was ich gesehen hatte, nicht aus.
Das nützliche Kästchen
Auf meinem Schreibtisch steht seit jeher eine kleine Kiste, in der ich alte Notizen, Adressen und Visitenkarten verwahre, die irgendwann noch mal interessant werden könnten. Alle Jubeljahre durchforste ich dieses Kästchen, um herauszufinden, ob es etwas zum Nachhaken enthält. Dabei fiel mir die Adresse des Porsche-Manns wieder in die Hände und ich beschloss, ihn nochmals zu kontaktieren.
Ich bediente mich dazu einer Ansichtskarte aus den 50er Jahren, die ich gerade bei eBay ersteigert hatte: Sie zeigte die Berliner Siegessäule mit der noch recht verkehrsarmen „Straße des 17. Juni", auf der im Vordergrund eine Goggo-Limousine unterwegs war.
Kaum hatte der Mann die Karte erhalten, rief er mich an und erzählte, dass er das Goggomobil inzwischen in seine neue Halle geholt habe und es gern weggeben würde, da sein Hauptinteresse doch seinen anderen Fahrzeugen gälte.
Besuch im Auto-Paradies
Wir machten einen erneuten Termin aus, und als ich die blitzsaubere, helle und geheizte Halle betrat, fiel mein Blick auf eine Vielzahl von Porsche, alle sauber aufgereiht und in neuwertigem Zustand. Daneben stand ein gerade frisch restaurierter, seltener Lloyd-Bus, Zustand sicher besser als neu. Und dann war da auch noch ein in dieser Umgebung etwas fehlplatziert wirkender Fremdkörper: Die alte Limousine ruhte mit hängenden Rädern auf einem Rollwagen, grad´ so, als dürfe sie den klinisch sauberen Boden nicht berühren, moos- und staubüberzogen und mit verschimmelter Innenausstattung, eine Folge der jahrelangen Unterbringung in dem nassen Schuppen.
„Prähistorisches" Baujahr mit Fremdteilen
Immerhin konnte ich das Fahrzeug jetzt erstmalig näher in Augenschein nehmen und erkannte als erstes, dass es viele Fremdteile aufwies: Die vordere Stoßstange stammte vom späteren Modell, Scheinwerfer, Blinker und Rückleuchten von DDR-Fahrzeugen. Grund dafür war, dass der Wagen schon seit 1957 in der DDR gelaufen war, wo man natürlich nicht über Original-Ersatzteile verfügte. Andererseits hatte er wohl genau wegen dieses langen Autolebens im Arbeiter- und Bauerstaat überhaupt überlebt, denn so richtig viele 55er Limos sind meines Wissens nicht erhalten.
Als der Besitzer erwähnte, dass er die Herausforderung einer Vollrestaurierung eigentlich nicht mehr annehmen wolle, fragte ich ihn, ob seine Preisvorstellung eventuell mit meiner „Gehaltsgruppe" harmonieren würde. Wir wurden uns bei einer Summe einig, für die man sonst zwar drei Goggos in diesem Zustand kaufen konnte, aber eben keine 55er.
Ab nach Hause
Nach Aufpumpen der Reifen verluden wir das Häufchen Elend auf meinen Trailer, den ich sicherheitshalber mitgebracht hatte, und es erfolgte ein Standortwechsel von Nord- nach Südberlin. In meiner Garage angekommen, stellte ich nach einer groben Reinigung fest, dass der Zustand doch nicht ganz so hoffnungslos war, wie ich vor fünf Jahren befürchtet hatte. Zwar müssten die Karosserie und auch Teile des Unterbodens saniert werden, aber bei welchem alten Goggo ist das nicht der Fall? Obwohl viel Arbeit notwendig sein würde, war doch sicher, dass schon viel schlimmere Goggos wieder aufgebaut wurden.
Frühzeitmodell aus der Anlaufphase
Und die Mühe könnte hier besonders lohnen, denn es handelt sich um das älteste mir bekannte Goggomobil: Fahrgestellnummer 31, Motornummer 13, so ist es nicht nur im DDR-Fahrzeugbrief von 1957 vermerkt, sondern auch im Original-Wartungsscheckheft von 1955, das ich mitbekommen hatte. Dort wartet auch noch der letzte von vier Wartungsschecks seit nunmehr 58 Jahren auf seine Einlösung.
Interessant auch, dass es in dieser frühen Bauphase kurz nach Fertigungsbeginn noch keine „richtige" Betriebsanleitung gab: Nur in Kurzfassung wurden die wichtigsten Bedienelemente im Wartungsscheckheft beschrieben, und das Werk teilte dazu im ersten Satz zur Erklärung mit, man habe sich wegen der großen Nachfrage auf den schnellen Produktionsbeginn konzentriert und alles andere vorerst zurückgestellt.
Rätselhafte Motornummer
Nicht ganz klar ist mir bis heute, wie das 31. Fahrzeug die Motornummer „13" tragen kann, zumal davor auch noch eine „02" eingeschlagen ist. Zumindest für Letzteres gäbe es eine Erklärung: Diese „02" ist offenbar später und mit einem anderen Schriftbild hinzugefügt worden, als der Motor - wohl in der Garantiezeit - zwecks Instandsetzung ins Werk zurückging und dort nach der Reparatur mit der „02" gekennzeichnet wurde. Dass die Triebwerke in der Anfangszeit der Produktion Probleme machten, ist ja bekannt, und dass das Werk bei Reklamationen sehr kulant reagierte, ebenfalls.
Bis heute scheint dieser Motor bei guter Gesundheit zu sein: Er dreht mit guter Kompression durch und man blickt durch den Ansaugkanal auf zwei tadellos erhaltene Kolben.
Unerschrockener Restaurierer gesucht
So wartet diese „Frühzeit"-Limo nun auf einen, der mit Blecharbeiten nicht ganz unerfahren sein sollte, denn ich selbst werde diese Arbeiten nicht mehr in Angriff nehmen und den Wagen nicht behalten. Froh darüber, dass unsere 62er Limousine gerade fertig geworden ist, überwiegt jetzt zunehmend das Fahren und Reisen mit unseren Autos. Das Schrauben beschränkt sich immer mehr auf die Instandhaltung der vorhandenen Fahrzeuge.
Gesucht wird also jemand, der sich nicht scheut, das „volle Programm" durchzuziehen, die Karosserie vom Boden zu trennen und das Dach und die vier Kotflügel abzuschrauben, um einen gründlichen Neuaufbau zu beginnen. Alles andere würde keinen Sinn machen und die „Mühe" wird durch eine weitere Wertsteigerung belohnt werden (Originalteile gibt´s aus meinem Fundus noch dazu).
Wer den Aufwand scheut, kann natürlich ein besser erhaltenes Exemplar suchen - vielleicht auch mit Hilfe einer alten Ansichtskarte ...
Bernhard Bergmann